Bei der zweiten OP stellte sich heraus, dass Jette nicht, wie von dem medizinischen Personal vermutet, bei der Beschreibung ihrer Schmerzen übertrieb. Bei dem Tritt des Pferdes wurde nur die Milz beschädigt, sondern auch ein Stück ihres Darms zerquetscht. Dadurch kam es zu einem akuten Darmverschluss, der Jette vermutlich das Leben gekostet hätte, wäre sie nicht umgehend operiert worden.
Der zweite Eingriff hinterließ bei Jette eine Erschöpfung, die sie bisher nicht kannte. Sie fühlte sich vor den Kopf gestoßen und konnte nur geduldig darauf warten, dass sich ihr Darm wieder in Bewegung setzte und zu arbeiten begann.
Als sie bei einem Verbandwechsel das erste Mal die zwei großen Narben sah, war Jette zwar geschockt, war jedoch weiterhin hauptsächlich darauf fokussiert, innerlich zu Heilen nachhause zu kommen. Sie wusste, dass es nötig war, wieder Vertrauen in den eigenen Körper zu fassen und nach vorne zu blicken. Das war nicht immer leicht.
„Nachdem ganzen, was jetzt aber los war, hatte ich keinerlei Vertrauen mehr in meinem Körper. Immer wenn ich etwas aß und Bauchschmerzen bekam, brach eine Panik in mir aus, weil ich dachte, es funktioniert immer noch nicht und die Schmerzen fangen wieder an. Es hat ganz lange gedauert, bis ich die Angst ablegen und meinem Körper wieder vertrauen konnte.“
Die Narben machten Jette zunächst keine großen Sorgen. Doch je gesunder sie sich wieder fühlte, je stärker ihr Körper wurde, desto mehr rückten die optischen Veränderungen, die beide OPs mit sich gebracht hatten, in den Vordergrund. „Ich mochte das nicht gerne angucken und fand meinen Bauch ziemlich gruselig, wie er aussah.“ Nachdem die Fäden und Klammern entfernt wurden, nahm zwar das gruselige Gefühl ab, gerne ansehen oder sich mit ihrem Körper auseinandersetzen, mochte Jette jedoch zunächst nicht.
Zum Zeitpunkt des Interviews ist Jette immer noch auf dem Weg der Genesung. Sie fühlt sich noch lange nicht so fit, wie sie vor dem Unfall war. Manchmal ist sie verzweifelt oder genervt, würde gerne mehr können, als bislang möglich ist. Doch sie ist auch optimistisch, dass die schlechten Phasen weniger werden. Die Phasen, in denen sie ihre Narben betrachtet und mit ihnen nur verbindet, wie sehr sie und die ihr nahestehenden Personen gelitten haben. Sie möchte irgendwann einmal auf die Narben schauen und sie als Symbol der Stärke betrachten. Als Zeichen dafür, was sie mit ihren 25 Jahren bereits geschafft und überstanden hat.